FG Münster v. 19.2.2019 – 12 K 302/17 E
Wenn der Gesetzgeber den Ausschluss sogar ärztlich verordneter Diätverpflegung – und damit krankheitsbedingten Lebensmittelauswendungen – anordnet, so muss dies erst recht für nicht ärztlich verordnete krankheitsbedingte Lebensmittelmehrkosten gelten. Die Berücksichtigung des Lebensmittelaufwands, der als Folge der Bulimieerkrankung entsteht, würde zu einer steuerlichen Berücksichtigung von Kosten der allgemeinen Lebensführung führen, die mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG nicht vereinbar wäre.
Der Sachverhalt:
Die Ehefrau des Klägers ist seit Jahren psychisch erkrankt und leidet u.a. an Bulimie. Sie bezieht seit Anfang 2012 dauerhaft eine Erwerbsunfähigkeitsrente von der Rentenversicherung. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2015 machten die Eheleute u.a. krankheitsbedingte Mehraufwendungen für Lebensmittel mit pauschal 80 € pro Woche (mithin 4.160 €) als außergewöhnliche Belastung geltend.
Das Finanzamt lehnte den Abzug der durch die Bulimieerkrankung der Ehefrau des Klägers verursachten Mehraufwendungen für Lebensmittel als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG ab. Ohne Nachweis der tatsächlich angefallenen Aufwendungen sei ein Abzug nicht möglich. Außerdem seien die Krankheitskosten nicht zwangsläufig i.S.d. § 33 Abs. 2 EStG erwachsen. Denn Aufwendungen eines Süchtigen zur Befriedigung seiner Sucht könnten nicht als unabwendbares Ereignis angesehen werden.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat die Anerkennung der Aufwendungen für die Lebensmittelkosten i.H.v. 4.160 € als außergewöhnliche Belastungen aus mehreren Gründen zu Recht verneint.
Bei dem Aufwand für die Lebensmittelkosten handelt es sich nach Auffassung des Senats nicht um originäre Aufwendungen im Krankheitsfall, die dem Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 EStG zugeordnet werden können, sondern vielmehr um Kosten der privaten Lebensführung, die dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG unterfallen. Der Senat konnte insoweit offen lassen, ob die pauschal in Ansatz gebrachten Ausgaben dem Kläger und seiner Ehefrau tatsächlich entstanden sind. Denn die zusätzlichen Lebensmittelkosten dienten weder der Heilung noch der Linderung der Erkrankung der Ehefrau des Klägers; sie sind vielmehr Ausdruck ihrer Erkrankung. Die Nahrungsmittel haben für die Ehefrau keine therapeutische Notwendigkeit; die Kosten zielen nicht auf die Wiederherstellung der Gesundheit der Klägerin oder der Genesung ihrer Erkrankung ab.
Die Aufwendungen für die Lebensmittel stellen weder Maßnahmen, Medikamente oder Hilfsmittel dar, die durch einen Arzt, Therapeuten oder Heilpraktiker verordnet wurden. Sie zeichnen sich mithin gerade nicht durch eine professionelle medizinische bzw. therapeutische Begleitung aus. Zudem ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass nach § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG Aufwendungen, die durch Diätverpflegung entstehen, nicht als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden können. Zwar handelt es sich bei den Lebensmittelaufwendungen der Ehefrau des Klägers nicht um Diätkost i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG. Wenn der Gesetzgeber aber den Ausschluss sogar ärztlich verordneter Diätverpflegung – und damit krankheitsbedingten Lebensmittelauswendungen – anordnet, so muss dies erst recht für nicht ärztlich verordnete krankheitsbedingte Lebensmittelmehrkosten gelten. Die Berücksichtigung des Lebensmittelaufwands, der als Folge der Bulimieerkrankung entsteht, würde zu einer steuerlichen Berücksichtigung von Kosten der allgemeinen Lebensführung führen, die mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG nicht vereinbar wäre.
Die aufgewandten Beträge sind letztlich auch nicht zwangsläufig i.S.d. § 33 Abs. 2 EStG erwachsen. Lebensmittelauswendungen einer an Bulimie erkrankten Steuerpflichtigen können jedenfalls nicht als unabwendbar angesehen werden. Es mag zwar sein, dass die Erkrankung der Ehefrau des Klägers ihre Steuerungsfähigkeit soweit einschränken kann, dass diese sich infolge ihrer Krankheit den Ausgaben zu ihrer Befriedigung nicht zu entziehen vermag. Die Ausgaben als Ausdruck ihrer Erkrankung beruhen jedoch nicht auf einem unabwendbaren Ereignis. Auch wenn die Ehefrau des Klägers schwer erkrankt ist, so ist die Bulimie-Erkrankung eine heilbare Erkrankung. Soweit sie als stark suizidgefährdet eingestuft werden muss, kann ihre Gefährdung durch Maßnahmen nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz NRW abgewendet werden. Diese Möglichkeit besteht für im Endstadium schwer erkrankte Krebspatienten etwa nicht.
Quelle: FG Münster online