FG Münster 8.10.2018, 5 K 1215/16 U
Nach Auffassung des Senates widerspricht es dem Neutralitätsgrundsatz, den Gästeführer in einem Museum von der Steuerfreiheit für kulturelle Dienstleistungen auszuschließen. Allgemein ist es nämlich nach dem Grundsatz der Neutralität nach EuGH-Rechtsprechung untersagt, gleichartige und deshalb im Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.
Der Sachverhalt:
Der Kläger erzielt seit dem Jahr 2002 gewerbliche Einkünfte als Gästeführer in einem Museum. In den Räumen der Stiftung A. können die Besucher u.a. alte Maschinen besichtigen. Neben technischen Details werden ihnen Informationen über die damaligen Arbeits- und Lebensbedingungen vermittelt. Das Museum ist ausschließlich über Gruppenführungen begehbar. Eine selbständige Erschließung ist ausgeschlossen, da der Museumsbereich verschlossen ist und nur in Begleitung von Gästeführern, die Schlüssel haben, betreten werden darf.
Auftraggeber des Klägers ist die Stiftung A, eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts. Sie erbringt steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 20 a) UStG. Für den Streitzeitraum liegen Bescheinigungen der Bezirksregierung vor, in denen festgestellt wird, dass der Kläger als Museumsführer die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie vergleichbare Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft.
Der Kläger beantragte beim Finanzamt für die Streitjahre 2010 bis 2013 eine Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht. Diesen Antrag lehnte die Behörde ab und begründete dies damit, dass es sich bei der Tätigkeit als Gästeführer nicht um eine umsatzsteuerfreie Tätigkeit nach § 4 Nr. 20 UStG handele. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Revision zugelassen.
Die Gründe:
Die Tätigkeit des Klägers als Gästeführer im Museum der Stiftung A. ist nach § 4 Nr. 20 a) UStG i.V.m. Art. 132 Abs. 1 n) MwStSystRL steuerfrei. Gem. § 4 Nr. 20 a) S. 1 UStG sind die Umsätze folgender Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände steuerfrei: Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre, Museen, botanische Gärten, zoologische Gärten, Tierparks, Archive, Büchereien sowie Denkmäler der Bau- und Gartenbaukunst. Das Gleiche gilt gem. S. 2 für die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in S. 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.
Nach den Bescheinigungen der Bezirksregierung steht für die Beteiligten und das FG die Gleichheit der kulturellen Aufgabenerfüllung verbindlich fest. Zu prüfen durch die Finanzbehörden und das FG war im Streitfall allein die Frage, ob auch die Tätigkeit als Gästeführer als „gleichartige Einrichtung“ anzusehen ist. Dies ist nach der Ansicht des erkennenden Senates der Fall. Denn 4 Nr. 20 a) UStG ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Begriff der gleichartigen Einrichtung auch Einzelpersonen umfasst. Zwar kann sich der nationale Gesetzgeber dafür entscheiden, nur bestimmte kulturelle Leistungen von der Steuer zu befreien. Nach Auffassung des Senates widerspricht es jedoch dem Neutralitätsgrundsatz, den Kläger von der Steuerfreiheit für kulturelle Dienstleistungen auszuschließen. Allgemein ist es nämlich nach dem Grundsatz der Neutralität nach EuGH-Rechtsprechung untersagt, gleichartige und deshalb im Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.
Im Streitfall ist das Museum bzw. Denkmal ausschließlich im Rahmen der vom Kläger und den anderen Gästeführern durchgeführten Führungen zugänglich. Der Kläger ist damit – vergleichbar mit einem Theaterschauspieler und anders als ein Regisseur – unmittelbarer und unverzichtbarer Bestandteil der kulturellen Leistung Museum/Denkmal. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem gesetzgeberischen Zweck. Denn die Steuerbefreiungen für die öffentlichen und ihnen gleichgestellten Theater, Orchester, Museen, Archive und Büchereien sind ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien eingeführt worden, da es sich um Einrichtungen handele, die in erheblichem Umfang staatlich subventioniert seien und bei denen die erzielten Einnahmen keine Aussagekraft hinsichtlich der Belastbarkeit ihrer Umsätze mit Umsatzsteuer besitzen.
Selbst wenn man – entgegen der Auffassung des Senats – davon ausgeht, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 20 a) UStG nicht möglich ist, so ist die Tätigkeit des Klägers als Gästeführer im Museum der Stiftung A in unmittelbarer Anwendung des Art. 132 Abs. 1 n) MwStSystRL steuerfrei. Nach Auffassung des EuGH ist der Begriff der Einrichtung in Art. 132 Abs. 1 n) MwStSystRL grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen zu erfassen. Die in dieser Bestimmung vorgesehenen Steuerbefreiungen seien nicht auf Umsätze juristischer Personen beschränkt, sondern könnten sich auch auf Umsätze natürlicher Personen erstrecken. Letztlich ist die Tätigkeit als Gästeführer gem. Art. 132 Abs. 1 i) MwStSystRL steuerfrei. Die in einer Vielzahl von Fällen relevante Frage, inwiefern bei Solisten eine richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 20 a) UStG möglich ist und unter welchen Voraussetzungen Einzelpersonen sich unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 n) MwStSystRL berufen können, ist allerdings nicht abschließend geklärt. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage der Reichweite der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 i) MwStSystRL. Infolgedessen wurde die Revision zugelassen.
Quelle: Rechtsprechungsdatenbank NRW